Pilgern auf dem Jakobsweg: eine Sprachlernreise

Viele Wege führen nach Santiago de Compostela, und viele Sprachen werden auf ihnen gesprochen. Meine Erfahrungen mit Sprachen auf dem Jakobsweg und warum diese Pilgerreise nicht nur Spanischlernende ans Ziel führt.

Vor ungefähr vier Jahren schrieb ich einen Artikel über den Jakobsweg, der in meiner Muttersprache Spanisch Camino de Santiago heißt. Nachdem ich viel darüber recherchiert hatte und meine Privatenzyklopädie – meinen Vater – konsultiert hatte, beschlossen wir, zusammen auf Pilgerreise zu gehen. Als wir unseren Plan dem Rest der Familie mitteilten, waren meine Schwester und mein Onkel so davon begeistert, dass sie sich uns anschlossen. Und dies sind meine Erfahrungen, die ich als Spanierin mit den Sprachen auf dem Jakobsweg gemacht habe.

Jakobswege: Eine Reise mit vielen Routen

Die Hauptrouten des Jakobswegs, wie etwa der französische Weg, der portugiesische Weg und der englische Weg, sind nicht etwa nach den Sprachen benannt, die man auf ihnen spricht, sondern nach den Ländern, in denen sich ihr jeweiliger Anfangspunkt befindet. Auf dem französischen Weg spricht man also nicht nur französisch, obwohl durch Frankreich zu reisen natürlich eine gute Gelegenheit ist, um Französisch zu üben. Der französische Weg ist historisch gesehen die traditionelle Pilgerroute mit dem größten Pilgerzustrom. Deshalb hinterlassen hier Menschen aus aller Welt ihre Fußstapfen.

Wer die Pilgerreise antritt, kann ganz individuell entscheiden, über welche Route das Ziel Santiago de Compostela erreicht werden soll. Es führen sprichwörtlich viele Wege zu der historischen Stadt in Galizien im Norden Spaniens, denn die Routen des Jakobsweges haben sich mit den Jahren immer mehr ausgebreitet. Man kann die Reise in fast jedem Ort in Europa beginnen – nicht nur in Spanien.

Pilgern auf dem Jakobsweg: Der Weg der 1000 Sprachen

Da ich in Deutschland lebe, habe ich meine Reise auch dort begonnen und bin den deutschen Weg gewandert. Dabei boten sich mir unzählige Möglichkeiten, die deutsche Sprache zu üben. Das mag ein wenig verwunderlich klingen, weil ich die Sprache ohnehin im Alltag nutze und ganz gut beherrsche. Auf dem Jakobsweg konnte ich mich jedoch mit vielen deutschsprachigen Personen für eine längere Zeit unterhalten und etwas über ihre Geschichte erfahren. Denn das Besondere am Jakobsweg ist, dass man sich nicht nur kurz in der Schlange vor dem Klo unterhält, sondern den Weg ein Stück miteinander teilt. Man wandert zusammen und das beeinflusst natürlich auch immer das Thema der Unterhaltung. Was ich damit sagen will: Ich habe noch nie so spontane und flüssige Gespräche geführt wie auf dem Jakobsweg. Wie jeder andere Mensch, der eine neue Sprache lernen möchte, hatte ich davor auch oft Tandemtreffen ausprobiert, aber letztendlich erschienen mir die Tandemkonversationen immer ein bisschen gezwungen, und man sprach im Grunde immer wieder über das Gleiche.

Ich habe noch nie so spontane und flüssige Gespräche geführt wie auf dem Jakobsweg.

Obwohl ich in Deutschland lebe und jeden Tag deutsch spreche, konnte ich dank der Menschen, die ich auf dem Jakobsweg kennenlernte, ganz neue Facetten des Deutschen entdecken: neue Dialekte, neue Wörter und sogar Volkslieder, die ich vorher noch nie gehört hatte!

Meine Schwester hat währenddessen auf dem Jakobsweg Italienisch geübt, und das eigentlich, ohne es so wirklich zu wollen. Sie hatte zwei Jahre zuvor ein Erasmussemester in Florenz verbracht, aber nach ihrer Rückkehr nach Spanien hat sie so gut wie kein Italienisch mehr gesprochen. Am ersten Tag unserer Reise trafen wir zwei Italiener, mit denen wir am Ende der Etappe gemeinsam unsere mit Jamón und Mortadella belegten Brote aßen. Obwohl im Laufe der Jahre etwas eingerostet, wurde das Italienisch meiner Schwester nach kurzer Zeit wieder zum Leben erweckt, so als ob sie es jeden Tag spräche. Das ist der Zauber des Sprachenlernens: Unser Gehirn verstaut unser einmal gelerntes Sprachwissen in irgendeinem Winkel unserer Erinnerung, und mit dem richtigen Stimulus wird alles wieder hervorgekramt.

Aber dabei blieb es nicht. Mein Vater ist ein sehr neugieriger Mann und sein Alter hält ihn nicht davon ab, eine neue Sprache zu lernen. Seit einigen Jahren lernt er nun schon Englisch, und obwohl er vermutlich nicht vorhatte, es auf dem Jakobsweg anzuwenden, ließ er sich von der Sprachenvielfalt um uns herum mitreißen. Mit jedem Kilometer lernte meine Schwester mehr italienisch- und ich mehr deutschsprachige Leute kennen. Also hat mein Vater einfach mitgemacht und sich darauf eingelassen, auf dem Jakobsweg englisch zu sprechen – und anderen sogar Spanisch beizubringen! Auch mein Onkel schwelgte irgendwann in Erinnerungen an seine Studienzeit und holte das wenige Französisch hervor, das er noch behalten hatte. C’est magnifique!

Pilgern auf dem Jakobsweg: Warum ein Wörterbuch nicht fehlen darf

Wenn man sich auf den Jakobsweg vorbereitet, findet man unzählige Informationen darüber, was man alles mitnehmen sollte, aber niemand erwähnt dabei ein kleines und doch wichtiges Detail: ein Wörterbuch. Über den Jakobsweg laufen Schuhe aus der ganzen Welt und es gibt Millionen von Erfahrungen, Kulturen und Sichtweisen zu entdecken und zu teilen. Vergiss also nicht, dir ein Wörterbuch einzupacken, am besten in der Sprache (oder den Sprachen), die du auf dem Weg gerne üben möchtest.

Für Spanischlernende liegt der sprachliche Nutzen einer Reise durch Spanien auf der Hand. Aber was auch immer sonst deine Lernsprache sein mag, auf dem Jakobsweg wirst du sicher auf Menschen treffen, die sie als Muttersprache sprechen. Der Jakobsweg ist ein vielseitiger Begegnungsort, wo Leute aus aller Welt aufeinandertreffen, die meisten davon aus Frankreich, Italien, Portugal, Deutschland und den USA. Und vielleicht triffst du ja sogar auf eine einheimische Person wie meinen Vater, der sich dafür begeistern kann, mit dir Spanisch zu üben. Dieses Ambiente der sprachlichen Vielfalt macht den Camino de Santiago zu einem idealen Schauplatz, um viele Sprachen auf eine besonders bereichernde Art und Weise zu lernen und zu üben.

Verschiedene Welten begegnen sich auf einem einzigen Weg, der schließlich auf der Plaza del Obradoiro endet, wo es nicht mehr wichtig ist, welche Sprache man spricht, weil dort die Blicke, die ausgetauscht werden, mehr als 1000 Worte sagen.

Es gibt viele Gründe, um sich auf den Weg zu machen, warum sollte eine Sprache zu lernen oder zu verbessern nicht einer von ihnen sein? Ob du nun gerade dabei bist, eine Sprache zu lernen, oder sie während eines Erasmusaufenthalts gelernt hast und ansonsten keine Möglichkeit mehr findest, sie anzuwenden – gib dir einen Ruck und mach dich auf die Reise!

Bevor ich zum Ende komme, muss ich euch unbedingt den Film Dein Weg von Emilio Estévez ans Herz legen, der mir auf meiner Reise auf dem Jakobsweg empfohlen wurde und der den Charakter dieser Pilgerreise ziemlich gut widerspiegelt.

Buen Camino!

Gute Reise oder ¡Buen Camino!, wie man auf Spanisch sagen würde.
¡Lerne eine neue Sprache und sprich sie auf deinem nächsten Abenteuer!
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