„Ja“ heißt „ja“… oder etwa doch nicht? – kulturelles Rätselraten in Japan

Welche kulturellen Eigenheiten hat das Land des Lächelns und welche sprachlichen Abenteuer lassen sich dort erleben?
Kulturelles Rätselraten in Japan

Hinter den sieben Bergen und den sieben Weltmeeren, in einem Land, wo ein „ja“ manchmal „nein“ bedeutet, wo Dinge „ein ganz kleines bisschen unmöglich sind“ und wo „aber“ und „obwohl“ nur bedeutungslose Füllwörter sind, um einen Satz freundlicher klingen zu lassen… Genau dort spielt meine Geschichte: in Japan, dem Land des Lächelns und der aufgehenden Sonne – und dem Land der großen kulturellen Eigenheiten, die mich als Europäerin manchmal verzweifeln lassen.

Als ich mich damals entschied, Japanisch zu lernen und in Tokyo zu studieren, war mir klar, dass das eine Herausforderung sein würde. Aber schließlich war ich ja vorbereitet: Ich hatte diverse Kulturratgeber und Fettnäpfchenbücher gelesen und wusste, worauf ich mich einließ… oder doch nicht?

An einem freien Samstagnachmittag entschied ich mich, die japanischen Boutiquen auszukundschaften und wurde schnell fündig. Ich ging mit meinen ausgewählten Kleidungsstücken zu der Verkäuferin und fragte, ob ich diese anprobieren dürfe. Die Antwort war ebenso kurz wie verwirrend: „Ja, natürlich, aber…“

Hm, dachte die deutsche Muttersprachlerin in mir, irgendwie scheint es nicht möglich zu sein. Also fragte ich noch einmal nach. Die Antwort war erneut: „Ja, das ist schon möglich, obwohl…“

Das war irgendwie zu viel für mich. Ich ging ratlos ein bisschen in dem Laden umher, um die Kleidungsstücke doch wieder zurückzuhängen.

Also, was war los? Waren die Umkleidekabinen besetzt oder kaputt? Hatte ich zu viele Kleidungsstücke in der Hand, die ich probieren wollte? Diese Fragen schossen mir durch den Kopf. Wie ich einige Zeit später im Sprachkurs herausfand, ist des Rätsels Lösung, dass Japanisch eine unglaublich höfliche Sprache ist. Wörter wie „aber“ (が – ga) und „obwohl“ (けど – kedo) haben neben ihrer eigentlichen Bedeutung auch eine abschwächende Funktion und können dazu dienen, einen Satz höflicher zu machen! Man hängt sie einfach an den Satz an und, tadaa, schon ist das ganze eine Nummer netter.

Das klappt natürlich nicht mit allen Sätzen, aber besonders für Wünsche, Bitten und deren Antworten bedienen sich Japaner gern dieser für Ausländer äußerst irritierenden Floskeln.

Um selbst höflich zu sein, hätte ich eigentlich fragen müssen: „Entschuldigung, ich würde diese Kleidungsstücke gerne anprobieren, obwohl…“ Und die Antwort wäre gewesen: „Bitte sehr, gerne doch, aber…“

Und wo wir gerade beim Thema Höflichkeit sind: Ein „nein“ ist natürlich alles andere als höflich. Daher gilt es, in Japan auch im Falle einer Ablehnung besondere sprachliche Regeln einzuhalten. Wäre es zum Beispiel wirklich nicht möglich gewesen, die Kleidungsstücke in dem Geschäft anzuprobieren, hätte die Verkäuferin wahrscheinlich geantwortet: „Oh, das tut mir leid, das ist im Moment ein ganz kleines bisschen unmöglich.“ Die deutsche Übersetzung wäre in etwa: „Auf gar keinen Fall!“

Sogar in der Geschäftswelt wird ein klares „nein“ unter allen Umständen vermieden. Sollte man bei Verhandlungen einen Vorschlag ablehnen wollen, sagt man das auf keinen Fall direkt, sondern behilft sich eines „Ja, das klingt interessant. Lassen Sie uns ein wenig darüber nachdenken“. Das bedeutet im Klartext „nein“. Zu Recht fragt sich jetzt wieder der deutsche Muttersprachler, was man denn sagen kann, wenn man wirklich darüber nachdenken will. Wahrscheinlich genau das Gleiche, nur dass man nach einer Weile noch mal auf den Gesprächspartner zurückkommt.

Eine weitere Tücke der japanischen Sprache ist ihre hohe Kontextabhängigkeit. Das bedeutet, dass vieles, was man sagt, nur im Zusammenhang verständlich ist und nicht immer nur eine Bedeutung haben kann. Zum Beispiel kennt das Japanische keine Verbbeugung nach Personen: Die Formen für „ich trinke“, „du trinkst“ und „er trinkt“ sind alle gleich. Leicht zu lernen, oder? Aber schwierig zu verstehen! Wenn ich einen Schluck aus meinem Glas nehme und „飲む – nomu“ sage, bedeutet es „Ich trinke.“ Wenn ich dir ein Glas Wasser gebe und frage: „飲む? – Nomu?“, bedeutet es „Trinkst du?“. Und wenn ich einen Jungen sehe, der seinen Saft schlürft, und sage „飲む – nomu“, dann bedeutet es natürlich „Er trinkt.“

Auch nach fast 20 Jahren, in denen ich nun Japanisch liebe, lerne und studiert habe, passieren mir kontextbezogene „Unfälle“. So kennt Japanisch auch keine Zukunftsform. Möchte man zwischen allgemeinen Aussagen, Aussagen in der Zukunft oder Dingen, die genau jetzt stattfinden, unterscheiden, dann muss man Zeitadverbien wie „jetzt“ oder „morgen“ verwenden. Aber natürlich nur, wenn das vom Kontext her nötig ist. Ansonsten lassen es die Japaner auch gerne mal weg, wenn ihnen sowieso klar ist, worum es geht – und mir natürlich nicht!

So fragte mich meine Freundin Kanako eines Abends um elf, als ich todmüde auf dem Sofa lag, ob ich eigentlich gerne joggen gehe. Zumindest hatte ich das so verstanden und antwortete ihr mit: „Ja, klar!“ Zehn Minuten später hüpfte sie in ihrem Jogginganzug vor mir herum und wunderte sich, warum ich immer noch faul auf dem Sofa lag. Hatte sie doch gefragt, ob ich jetzt joggen gehen wolle – und ich hatte schließlich mit „ja“ geantwortet.

Da ich weder ihren Eifer ausbremsen, noch meinen Fehler eingestehen wollte, raffte ich mich auf und ging nachts um elf im Stadtpark von Fukuoka meine Runden laufen. Selber Schuld, Maren!

Meine Überlebensstrategie in Japan ist simpel: Lerne, was du lernen kannst, und lebe mit Überraschungen! In Japan sind die Sachen einmal weniger so, wie sie scheinen. Aber gerade das macht diese Kultur so interessant – und man lernt durch den Kontrast eine Menge über die eigene Kultur.
Die Sache mit dem „aber“ und „obwohl“ habe ich mir nach einiger Zeit selbst angewöhnt.

Ich formuliere meine japanischen Sätze inzwischen nach genau dem gleichen Muster. Und manchmal mache ich das sogar im Deutschen, obwohl…

Tauch in eine neue Kultur ein und lerne eine Sprache
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Maren Pauli

Maren Pauli ist in Berlin geboren und aufgewachsen, und entschied sich nach dem Abitur dafür, sprachlich, geographisch und kulturell so weit wie möglich entfernt von ihrem Heimatland zu studieren: in Japan. Schnell war klar, dass die Liebesbeziehung zum Land des Lächelns von Dauer sein würde. Ohne ihre Kamera und ihr Notizbuch bewegt sie sich nirgends hin, und zu ihren liebsten Hobbys gehören das Achterbahnfahren und das Verlaufen, da sie selbst in ihrer Heimatstadt eine miserable Orientierung hat. Aber so findet man bekanntlich die interessantesten Orte und erlebt die besten Geschichten.

Maren Pauli ist in Berlin geboren und aufgewachsen, und entschied sich nach dem Abitur dafür, sprachlich, geographisch und kulturell so weit wie möglich entfernt von ihrem Heimatland zu studieren: in Japan. Schnell war klar, dass die Liebesbeziehung zum Land des Lächelns von Dauer sein würde. Ohne ihre Kamera und ihr Notizbuch bewegt sie sich nirgends hin, und zu ihren liebsten Hobbys gehören das Achterbahnfahren und das Verlaufen, da sie selbst in ihrer Heimatstadt eine miserable Orientierung hat. Aber so findet man bekanntlich die interessantesten Orte und erlebt die besten Geschichten.