Dinge, die Deutsch nicht kann

Deutsch ist dafür bekannt, eine präzise Sprache zu sein. Aber stimmt das? Welche sprachlichen Dinge kann Deutsch nicht?
Dinge die deutsch nicht kann

Wer fremde Sprachen nicht kennt, weiß nichts von seiner eigenen.

Dieser Satz stammt von dem Dichter Johann Wolfgang von Goethe und er hatte damit alles andere als Unrecht. Wenn wir anfangen, eine neue Sprache zu lernen, lernen wir gleichzeitig immer auch etwas über unsere Muttersprache – besonders dann, wenn sich die beiden Sprachen sehr in einem Aspekt unterscheiden. Dann fallen uns plötzlich Merkmale unserer Muttersprache auf, die wir bis dahin als völlig normal empfunden haben, und die in der neuen Sprache nicht vorhanden sind. Oder wir entdecken grammatische Strukturen, die in der Lernsprache ganz anders funktionieren und uns deshalb womöglich Schwierigkeiten bereiten – oder gerade deswegen unsere ganze Neugier und Aufmerksamkeit bekommen.

Was Deutsch kann …

Als Deutsch-Muttersprachlerin ist es für mich natürlich sehr leicht, Dinge zu finden, die Deutsch kann. So ist es mit dem Deutschen zum Beispiel möglich, alles ganz präzise auszudrücken. Ein Beispiel sind die vier grammatischen Fälle, die für alle Deutschlernenden eines der schlimmsten Übel darstellen, aber sehr viel Aufschluss über die Satzstruktur und Bedeutung geben können. Oder die vielen Zeitformen, die die deutsche Sprache zu bieten hat, und mit denen man genau ausdrücken kann, wann etwas passiert ist.

Aber deutsche Fälle und Zeitformen hin oder her: Welche Dinge kann Deutsch eigentlich nicht? Oder besser: Was können Deutschsprechende mit ihrer Sprache nicht ausdrücken? Um Antworten auf diese Frage zu finden, müssen wir uns, wie schon Goethe ganz richtig festgestellt hat, andere Sprachen anschauen, diese mit Deutsch vergleichen und Unterschiede ausmachen.

… und was Deutsch nicht kann.

Obwohl die deutsche Sprache sehr effizient ist, wenn es darum geht, Komposita zu bilden (zusammengesetzte Wörter wie Streichholzschächtelchen), so ist zum Beispiel Spanisch viel effizienter, wenn es um den Gebrauch der Personalpronomen geht. Die können im Spanischen nämlich ganz einfach weggelassen werden, da das Verb sowieso anzeigt, um welche Person es geht.

  • Auf Deutsch muss ich sagen: „Du trinkst Wasser.“ Das „du“ kann ich nicht weglassen, obwohl die Form „trinkst“ eindeutig ist.
  • Im Spanischen ist das problemlos möglich, wenn du sagst: Bebes agua. Das („du“) würde man nur benutzen, wenn man es besonders betonen möchte.

Zugegeben, ein kleines Problem hätten wir im Deutschen: Die Verbformen für die erste Person Plural („wir“) und die dritte Person Plural („sie/Sie“) sind identisch. Anhand der konjugierten Form „trinken“ könnten wir nicht unterscheiden, um welche Person es geht.

Ich finde die Effizienz der Spanisch-Muttersprachler immer wieder sehr praktisch, wenn man zum Beispiel schnell eine Nachricht schreiben muss: platz- und zeitsparend. Und eigentlich ein Vorbild für die Deutschen, die doch immer als effizient betitelt werden!

Aber es gibt auch Sprachen, die noch viel mehr weglassen können als nur die Personalpronomen. Japanisch zum Beispiel kann Sätze ohne Verben bilden oder auch ohne Subjekt. Wie das funktioniert? Ganz einfach: durch den Kontext. Wenn klar ist, worum es geht, dann braucht man das nicht unbedingt zu kommunizieren, sondern vertraut einfach darauf, dass der Zuhörer schon im Bilde ist.

  • Um im Deutschen einen korrekten Satz zu bilden, müsste ich zum Beispiel sagen: „Der Mann isst einen Apfel.“ Ich kann weder das Subjekt („der Mann”), noch das Verb („isst”) weglassen.
  • Im Japanischen ist das aber grammatisch völlig korrekt, wenn man nur ringo wo, also wörtlich „einen Apfel”, sagt – sofern es gerade um einen Mann geht, der etwas essen möchte.

Diese deutsche Sprachgenauigkeit ist es auch, die ich manchmal gern in meiner Sprache umgehen würde. Ich denke an meine Unizeit zurück, in der ich einmal einer Person mit Professorentitel schreiben musste, die ich noch nicht persönlich kannte. Der Vorname dieser Person war Wanja. Toll, dachte ich, das ist ein Männer- und ein Frauenname. Und nun?

Auf Englisch hätte ich ganz einfach schreiben können: Dear Professor Wanja, aber auf Deutsch muss ich mich ja entscheiden, ob ich „Sehr geehrter Herr Professor Wanja“ oder „Sehr geehrte Frau Professorin Wanja“ schreibe. Sehr unpraktisch und unter Umständen auch nicht ganz ungefährlich, wenn man nicht schon vor Vorlesungsbeginn einen schlechten Eindruck hinterlassen möchte.

Unpräzises Deutsch: Gibt es das wirklich?

Es gibt aber auch den umgekehrten Fall; nämlich dass Deutsch nicht so genau ist wie andere Sprachen. Im Türkischen drückt man mit einzelnen Wörtern viel detailliertere Verwandtschaftsbeziehungen aus als im Deutschen. Auf Deutsch ist eine Tante die Schwester meiner Mutter oder meines Vaters.

Auf Türkisch gibt es teyze (Tante mütterlicherseits) und hala (Tante väterlicherseits). Hinzu kommem die Äquivalente dayı (Onkel mütterlicherseits) und amca (Onkel väterlicherseits). Natürlich kannst du auch im Deutschen ausdrücken, ob es sich um deine Tante mütterlicherseits oder väterlicherseits handelt – du brauchst nur ein Wort mehr dafür. Vor ein paar Jahrzehnten war dies anders, denn da hatte das Deutsche noch unterschiedliche Wörter für die Tanten und Onkel mütterlicher- und väterlicherseits; nämlich die mittlerweile veralteten Wörter „Muhme” und „Oheim”. 

Sprachen entwickeln sich, sodass ihre Sprechenden damit ausdrücken können, was für sie relevant ist. Somit würden deutsche Muttersprachler, die nur die eine Sprache beherrschen, vermutlich gar keine Beispiele finden für etwas, das Deutsch nicht kann. Da unsere Welt sprachlich immer weiter zusammenwächst, fallen uns oft Dinge auf, die in anderen Sprachen leichter ausgedrückt werden: Dinge, die Deutsch nicht kann. 

Übrigens bin ich bei Professor Wanja direkt in die Offensive gegangen. Ich habe ehrlich geschrieben, dass ich mir unsicher bin, ob ich mit einem Mann oder einer Frau spreche. Die Reaktion darauf war sehr positiv. Denn eines kannst du definitiv in jeder Sprache: offen und freundlich kommunizieren.

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Maren Pauli

Maren Pauli ist in Berlin geboren und aufgewachsen, und entschied sich nach dem Abitur dafür, sprachlich, geographisch und kulturell so weit wie möglich entfernt von ihrem Heimatland zu studieren: in Japan. Schnell war klar, dass die Liebesbeziehung zum Land des Lächelns von Dauer sein würde. Ohne ihre Kamera und ihr Notizbuch bewegt sie sich nirgends hin, und zu ihren liebsten Hobbys gehören das Achterbahnfahren und das Verlaufen, da sie selbst in ihrer Heimatstadt eine miserable Orientierung hat. Aber so findet man bekanntlich die interessantesten Orte und erlebt die besten Geschichten.

Maren Pauli ist in Berlin geboren und aufgewachsen, und entschied sich nach dem Abitur dafür, sprachlich, geographisch und kulturell so weit wie möglich entfernt von ihrem Heimatland zu studieren: in Japan. Schnell war klar, dass die Liebesbeziehung zum Land des Lächelns von Dauer sein würde. Ohne ihre Kamera und ihr Notizbuch bewegt sie sich nirgends hin, und zu ihren liebsten Hobbys gehören das Achterbahnfahren und das Verlaufen, da sie selbst in ihrer Heimatstadt eine miserable Orientierung hat. Aber so findet man bekanntlich die interessantesten Orte und erlebt die besten Geschichten.