Unser Sprechapparat – das musst du über Laute wissen

Wenn du noch nichts über den menschlichen Sprechapparat weißt, könnte das einer der wichtigsten Artikel zum Thema Sprachenlernen sein, den du je lesen wirst!
akcent na poziomie native speakera

Halt! Klick auf keinen Fall auf das kleine „X“! Schließe diesen Tab nicht, denn es wird dir eine Menge entgehen! Wir wissen, dass ein Artikel über den Sprechapparat erst mal ziemlich trocken klingt – wer will schon in der Freizeit Biologie- oder Physikunterricht nachholen? Tatsächlich ist unser Sprechapparat aber nicht nur interessant: Mehr über ihn zu lernen ist eines der wichtigsten Dinge, die du tun kannst, wenn du Sprachen lernst.

Hast du dich auch schon gefragt, warum manche das englische [th] einfach nicht aussprechen können oder Schwierigkeiten haben, das spanische oder russische [r] zu rollen? Die Antwort liegt im Sprechapparat. Und selbst, wenn du gerade keine neue Sprache lernst (das lässt sich übrigens leicht ändern), wirst du in diesem Artikel Interessantes über deine eigene Sprache herausfinden.

Alles nur heiße Luft?

Menschliche Sprache – zumindest die verbale – fängt für alle Laute gleich an: als Luft. Die Brustmuskulatur, Rippen und das Zwerchfell sorgen dafür, dass sie in die Lunge strömen kann – und auch wieder aus ihr heraus. Der Exspirationsluftstrom wird über die Bronchien in die Luftröhre gepresst. Die Luftröhre endet oben mit dem Kehlkopf. Erst dort entscheidet sich, ob der Exspirationsstrom zum Phonationsstrom wird oder nicht, also, ob ein Laut dabei herauskommt oder einfach nur ausgeatmet wird.

Wenn die Luft zum Phonationsstrom wird, ist ihre Reise hier aber noch lange nicht vorbei. Im Gegenteil: Sie passiert noch zahlreiche Stationen im Sprechapparat, die ihren Klang modifizieren.

Station eins: die Stimmlippen (stimmhafte oder stimmlose Laute)

Die erste Station sind die im Kehlkopf sitzenden Stimmlippen, auch Glottis genannt. Die Stimmlippen beeinflussen vieles – unter anderem, ob ein Laut stimmhaft oder stimmlos ist. Bei stimmhaften Lauten, wie zum Beispiel [b], [d] oder [g], schwingen die Stimmlippen. Im Gegensatz dazu werden ihre stimmlosen Gegenpaare [p], [t] oder [k] mit geöffneten Stimmritzen gesprochen – die Luft strömt ungehindert bis in den Vokaltrakt und erzeugt keine Schwingungen.

Du kannst einfach überprüfen, ob ein Laut stimmhaft oder stimmlos ist: Leg einfach deine Hand beim Sprechen an deinen Hals. Wenn du eine Vibration spürst, ist der Laut stimmhaft, wenn nicht, ist er stimmlos. Pass dabei allerdings auf, dass du die Laute isoliert aussprichst – das ist manchmal gar nicht so einfach.

Stimmhaftigkeit oder Stimmlosigkeit mögen wie belanglose Details erscheinen. Zum Beispiel werden im deutschen Sprachraum bestimmte stimmhafte Laute ([​b]​, [​d]​, [​g]​, „deutsches“ [w]​, „summendes“ [s]​) nur im nördlichen und mittleren Raum auch tatsächlich stimmhaft ausgesprochen! Im Süden sind sie stimmlos: Wenn jemand in Bayern mit Sekt anstößt, wird der [Sekt] mit einem „scharfen“ [s] (stimmlos) ausgesprochen, im Norden wird dagegen ein „summendes“ [s] (stimmhaft) zu hören sein. Tatsächlich ist Stimmhaftigkeit aber der einzige Unterschied in Wortpaaren wie „Bass/Pass“, „backen/packen“, „Ende/Ente“, „Kunst/Gunst“ oder „Gabel/Kabel“. Damit ist sie gar nicht so unerheblich.

Noch interessanter ist, dass die Stimmhaftigkeit ein Merkmal des deutschen Akzents in vielen anderen Sprachen ist, das den meisten Deutschen nie auffallen würde. Aufgrund der sogenannten Auslautverhärtung sprechen wir Deutschen nämlich Laute am Silben- oder Wortende grundsätzlich stimmlos aus. Wir sagen also gar nicht [Tag] oder [Hund], sondern eigentlich [Tak] oder [Hunt]. In vielen mittelalterlichen Texten lassen sich sogar diese „stimmlosen Schreibweisen“ finden. Da wir eine standardisierte Rechtschreibung haben, die die Schreibung der Wortstämme verregelmäßigt, fällt vielen diese Auslautverhärtung gar nicht mehr auf, da wir sowohl „Hund“ als auch „Hunde“ mit „d“ schreiben, obwohl wir einmal (am Silbenende) ein [t] sprechen und das andere Mal (weil das „d“ nicht mehr am Silbenende steht) ein [d]. Gerade weil wir den Unterschied nicht merken, übertragen wir dieses Aussprachemuster unbewusst in andere Sprachen – auch solche, die gar keine Auslautverhärtung haben, wie zum Beispiel das Englische.

Ein weiteres, sehr charakteristisches Merkmal des deutschen Akzents in anderen Sprachen ist ebenfalls auf die Stimmritze zurückzuführen. Der sogenannte stimmlose glottale Plosiv oder Glottisschlag ist ein unhörbarer Knacklaut, der dadurch zustande kommt, dass sich die Stimmritze komplett verschließt. Dieser Laut ist unter anderem dafür verantwortlich, dass wir [Spiegel-ei] sagen und nicht [Spiege-lei]. Er ist auch der Übeltäter, weswegen die deutsche Sprache anderswo als „harte, abgehackte“ Sprache wahrgenommen wird. Die Verwendung des Knacklautes vor Vokalen am Wortanfang steht vielen deutschen Muttersprachlern und Muttersprachlerinnen im Weg, wenn sie „fließende“ Sprachen wie Englisch oder Französisch lernen.

Station zwei: Wo tritt die Luft aus (nasale oder orale Laute)?

In der nächsten Station wird entschieden, ob die Luft durch die Nase oder durch den Mund entweicht: Bei oralen Lauten legt sich der hintere, weiche Teil des Gaumens (das Velum) an die Rachenrückwand und verschließt den Nasenraum. Bei nasalen Lauten senkt sich das Velum, sodass die Luft größtenteils durch die Nase ausströmt.

Daher sind die Nasale noch einfacher als die stimmlosen und stimmhaften Laute zu identifizieren: Halt dir beim Sprechen die Nase zu. Wenn der Laut stecken bleibt, ist es ein Nasal.

Im Deutschen gibt es die stimmhaften Nasale ​[⁠m⁠]​, ​[⁠n⁠]​ und ​[⁠ŋ⁠] (Letzterer tritt zum Beispiel im Wort [Englisch] auf)​. Nasale Vokale sind zudem sehr typisch für das Französische und kommen auch im Portugiesischen vor!

Station Nummer drei: der Mund- und Rachenraum

Die Highlights des Sprechapparats befinden sich im Mund- und Rachenraum. Hier bildet das Zusammenspiel von beweglichen und unbeweglichen Elementen eine Vielfalt von Lauten. Von den Lippen über die Zähne, der Wulst hinter den Schneidezähnen, dem weichen und harten Gaumen bis hin zum Rachen ist so ziemlich alles im Mund an der Lautbildung beteiligt. Und dann wäre da noch die Zunge und ihre verschiedenen Areale! Wenn du einmal so richtig darüber nachdenkst, wie viele lautliche Werkzeuge sich in deinem Mund befinden, wirst du dich vielleicht schnell so fühlen – pardon – als hättest du die Schnauze voll!

Vokale (wie [a], [i], [o], [ü] und andere) werden dadurch gebildet, dass der Luftstrom weitgehend ungehindert durch den Mund ausströmen kann. Hier entscheiden die Position der Zunge, die Öffnung des Mundes und die Rundung der Lippen, welcher Laut zu hören ist.

Bei den Konsonanten sind sozusagen die vorher genannten Komponenten des Sprechapparates „im Weg“. Je nach Position bestimmen sie den Laut.

  • Ein kurzer Luftstoß, der durch beide Lippen „blockiert“ wird, formt je nach Stimmhaftigkeit ein [p] oder [b].
  • Ein kurzer Luftstoß, bei dem die Zunge hinter der Wulst an den oberen Schneidezähnen sitzt, formt je nach Stimmhaftigkeit ein [t] oder [d].
  • Ein langer Luftstrom mit der Zunge an derselben Stelle formt dagegen ein stimmloses oder stimmhaftes [s].

So geht es immer weiter.

Was bringt dir das Wissen um den Sprechapparat?

Warum ist das alles nun so wichtig zum Sprachenlernen? Ganz einfach: Weil du bestimmte Laute nicht aussprechen kannst, wenn du nicht weißt, wo sie geformt werden!

Nehmen wir das berühmte englische [th], das besonders vielen Englischlernenden am Anfang Schwierigkeiten bereitet. Dabei ist der Laut ganz einfach: Die Zunge rutscht von einem stimmlosen [s]-Laut etwas nach vorn und wird zwischen die Zähne gesteckt. Weil das im Deutschen ein Sprachfehler ist (Lispeln), scheuen sich viele, das auszuprobieren, oder es kommt ihnen gar nicht in den Sinn. Wenn sie allerdings wüssten, dass „zu lispeln“ der einzig richtige Weg ist, den [th]-Laut zu formen, würden sie mit Sicherheit die Scheu verlieren.

Gleich verhält es sich mit [r]-Lauten. Die sind nämlich ganz schön kniffelig, und das in vielen Sprachen!

  • Im Deutschen wird ein geschriebenes „r“ in vielen Dialekten und an vielen Stellen gar nicht als [r] ausgesprochen. Stattdessen wird es zum [a]. Zum Beispiel geht ein [Berliner nicht in eine Bar], sondern ein [Bealina jeht inne Baa]. Na gut, sind wir ehrlich, eigentlich geht er wahrscheinlich erstmal zum Späti um die Ecke und genießt ein Wegbierchen …
  • Die verbliebenen deutschen [r]s werden abgesehen von einigen regionalen Ausnahmen hinten im Rachen gegurgelt.
  • Im Englischen (besonders im amerikanischen Englisch) wird ein [r] dagegen gleich geschrieben, aber eher in der Mitte des Mundes gebildet.
  • Im Russischen oder Spanischen wird es vorne im Mund gerollt.

Hinter einem geschriebenen „r“ verstecken sich also je nach Sprache, Dialekt oder Stelle im Wort völlig verschiedene Aussprachen, die an völlig verschiedenen Artikulationsorten gebildet werden.

Wenn du also das nächste Mal Probleme hast, ein neues Wort in einer neuen Sprache auszusprechen, kann es nicht schaden, nachzulesen, wo und wie dieser Laut eigentlich gebildet werden soll – zieh also sozusagen eine Landkarte für deinen Mund zurate! Wenn die Aussprache dann immer noch nicht klappt, heißt es: Nicht aufgeben! Wenn der Sprechapparat intakt ist, sollten grundsätzlich alle Menschen alle menschlichen Laute formen können. Manchmal muss sich der Sprechapparat nur ein bisschen daran gewöhnen, denn auch die Muskeln im Mund wollen trainiert werden.

Und wenn es trotz aller Mühe wirklich ganz und gar nicht klappen will, dann trag deinen Akzent ruhig mit Stolz – schließlich zeigt er, dass du gerade eine andere Sprache als deine Muttersprache sprichst!

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Katrin Sperling

Katrin Sperling ist in Potsdam geboren und aufgewachsen und hat nach dem Abitur ein Jahr in Toronto, Kanada verbracht. Weil ihr Hogwarts-Brief zu ihrem 20. Geburtstag im Jahr 2011 immer noch nicht angekommen war, musste sie schließlich die Realität akzeptieren und studierte Englische und Deutsche Linguistik in Berlin. Zum Glück erwies sich die Linguistik als genauso magisch, weswegen Katrin sehr glücklich ist, jetzt für das Babbel Magazin über Sprachen zu schreiben.

Katrin Sperling ist in Potsdam geboren und aufgewachsen und hat nach dem Abitur ein Jahr in Toronto, Kanada verbracht. Weil ihr Hogwarts-Brief zu ihrem 20. Geburtstag im Jahr 2011 immer noch nicht angekommen war, musste sie schließlich die Realität akzeptieren und studierte Englische und Deutsche Linguistik in Berlin. Zum Glück erwies sich die Linguistik als genauso magisch, weswegen Katrin sehr glücklich ist, jetzt für das Babbel Magazin über Sprachen zu schreiben.